Ein Verkehrsunfall ist schnell passiert. Verkehrsunfälle geschehen in einer Vielzahl von Situationen des öffentlichen Verkehrs. Neben den ersten Schock des Unfalls stellen sich unterschiedliche Beschwerden nach dem Unfall ein. Die ärztliche Diagnose steht schnell fest. Es liegt eines HWS Verletzung vor.
Biomechanische bzw. verletzungsmechanische Gutachten untersuchen die Belastung und die daraus resultierenden, meist unkontrollierten Bewegungen von Insassen in Unfallfahrzeugen.
Eine interdisziplinäre Begutachtung (Zusammenarbeit zw. Medizinern u. Technikern) hat sich in Vergangenheit als nicht konstruktiv bewehrt. Es sollte ein für den Einzelfall ausgewählter (Fach-) Mediziner vom Gericht unter Zusammenarbeit mit den Parteien beauftragt werden.
Der Unfallanalytiker rekonstruiert der den Unfall und stellt die Belastungen und Bewegungen dar. Anschließend ist eine sinnvolle Beurteilung durch ein fachmedizinisches Gutachten möglich. Dies entspricht der aktuellen Anforderung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. (VI ZR 235/07)
Wie Sie weiter bei einer HWS Verletzung nach einem Verkehrsunfall vorgehen, erläutere ich Ihnen in diesem Beitrag.
Der Verletzte, der durch den Unfall ein HWS-Schleudertrauma erlitten hat, geht davon aus, dass sein ärztliches Attest ausreicht, um Schmerzensgeld zu erhalten. Die gegnerische Versicherung wird das Attest aber u.U. als reine Verdachtsdiagnose ansehen und ein Schmerzensgeld wegen nicht objektiv nachgewiesener Verletzung ablehnen oder die Verletzung als degenerative, also nicht unfallbedingte Veränderung interpretieren. Die Folge: Die Zahlung eines Schmerzensgeldes wird abgelehnt.
Der Beweiswert des ärztlichen Attests liegt vornehmlich in der Dokumentation der Beschwerden, die der Betroffene zeitnah zu dem Unfall vorgetragen hat. Zudem ist es Aufgabe der Ärzte, die vom Patienten geschilderten Beschwerden zu lindern bzw. zu heilen, nicht aber prozessentscheidende Fragen aufzuklären. In vielen Fällen erfolgt eine solche Aufklärung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens.
Bei HWS-Verletzungen gibt es zudem noch eine Besonderheit: Zumeist fehlt es an einem objektiv, z.B. röntgenologisch, belegbaren Verletzungsbild. Hinzu kommt: Nach wie vor gibt es keinen auf wissenschaftlicher Basis erarbeiteten, allgemein anerkannten Beurteilungsstandard zum Thema “HWS-Schleudertrauma nach geringen Belastungen“.
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Rund 400.000 Mal pro Jahr diagnostizieren Ärzte nach einem Verkehrsunfall eine Verletzung der Halswirbelsäule (HWS). Vor allem bei Heckkollisionen, aber auch bei Seiten- und Frontalanstößen kommt es zu derartigen Verletzungen.
Die entscheidende Frage: Sind die Verletzung und die damit verbundenen bzw. geltend gemachten Beschwerden wirklich auf den Unfall zurückzuführen oder handelt es sich um allgemeine Krankheitsanzeichen mit anderen Ursachen oder sind sie etwa nur simuliert?
Der Kausalitätsnachweis, das Kardinalproblem in HWS-Streitfällen, stellt den Anwalt des Betroffenen vor keine leichte Aufgabe. Mehrere 100 veröffentlichte “keineswegs einheitliche” Gerichtsurteile und ca. 11.000 (!) Publikationen, zumeist von Medizinern und Ingenieuren, tragen zur Verunsicherung bei.
Besondere Aktualität erlangt die außerordentlich komplexe HWS-Problematik durch die Änderung des § 847 BGB. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld soll nur noch bestehen, wenn der Schaden unter Berücksichtigung seiner Art und Dauer nicht unerheblich ist. Dazu heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs: Schließlich dürften auch nicht objektivierbare leichte HWS-Verletzungen ersten Grades regelmäßig unterhalb dieser Erheblichkeitsschwelle bleiben.
Bereits nach geltendem Recht scheidet bei bloßen Bagatellverletzungen ein Schmerzensgeld aus. Leichte (erstgradige) HWS-Verletzungen fallen möglicherweise nun auch darunter.
Der BGH hat entschieden, dass eine HWS-Verletzung auch bei geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen, also bei leichten Unfällen, nicht pauschal ausgeschlossen werden dürfen. Es müsse immer eine Einzelfallbetrachtung erfolgen.
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- Gutachten HWS Schleudertrauma
HWS Schleudertrauma -das Peitschenschlagsyndrom
Das Schleudertrauma (Peitschenschlagphänomen, Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule, HWS-Distorsion) ist eine Weichteilverletzung im Bereich der Halswirbelsäule (HWS). Sie entsteht durch plötzliche, ruckartige Beugung und Überstreckung des Kopfes infolge einer unerwarteten Krafteinwirkung. Häufigste Ursache sind Auffahrunfälle. Als typische Beschwerden treten – meist erst einige Zeit nach dem Unfall – Nacken- und eventuell Kopfschmerzen sowie ein „steifer Hals“ auf. Wie schwer ein Schleudertrauma ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Wie entsteht ein HWS Schleudertrauma
Ein Schleudertrauma kann entstehen, wenn plötzlich eine starke Gewalt auf die Halswirbelsäule von hinten oder – seltener – von vorne bzw. der Seite einwirkt. Dadurch wird das Kopf-Hals-Segment gegenüber dem Oberkörper beschleunigt. Der Kopf wird ruckartig zunächst von vorne nach hinten oder umgekehrt bzw. seitwärts bewegt und nach dem Aufprall erneut ruckartig in die entgegengesetzte Richtung geschleudert. Durch die unvorhergesehene Krafteinwirkung werden die Weichteile an der Halswirbelsäule verletzt: Die Hals- und Nackenmuskulatur verspannt sich und es kommt zu einer schmerzhaften Steilhaltung der HWS („Steifer Hals“). In schweren Fällen kann es zu Zerrungen und Einrissen der Bänder oder zu Verletzungen der Bandscheiben kommen.
Schleudertraumen entstehen meist durch Auffahrunfälle im Straßenverkehr. Weitere mögliche Ursachen sind Sportunfälle oder sogenannte „Vergnügungsunfälle“ wie Achterbahn- oder Autoscooterfahrten.
Im biomechanischen Gutachten (Teil I technische Teil) wird der Verkehrsunfall rekonstruiert und analysiert.
Im Nebenfenster sieht man ein Geschwindigkeitsdiagramm der Fahrzeugkollision. Es gab einen abrupten Geschwindigkeitsabfall von 47 km/h auf 29 km/h.
Hier spricht der Sachverständige von einem Delta V von -18km/h.
Es handelt sich hier um ein klassisches Peitschenschlagsysdrom oberhalb der juristischen Harmlosigkeitsgrenze von einem Delta v von 11 km/h.
Nicht jeder Unfall ist so eindeutig. Manchmal sind sogar tiefgründige technische Untersuchungen der Kollision erforderlich, um im Gutachten eine Aussage zu einer kollisionsbedingten HWS Schleudertrauma Verletzung nach einem Verkehrsunfall zu erstellen.
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In etwa 90 Prozent aller Fälle, in denen nach einem Verkehrsunfall Ansprüche wegen Personenschadens bei einem Kfz-Haftpflichtversicherer angemeldet werden, geht es letztlich „nur“ um eine HWS-Verletzung. Um Ersatzansprüche geltend machen zu können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die geklagten HWS-Beschwerden müssen juristisch den Tatbestand der Körper- oder Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 BGB erfüllen, und sie müssen nicht nur behauptet, sondern auch nachgewiesen sein. Zwar ist aus juristischer Sicht die Beeinträchtigung der Befindlichkeit (also nicht deren Ursache) die „Verletzung“. Zu beachten ist aber, daß nach einem Verkehrsunfall viele Unfallopfer vorwiegend an psychischen Befindlichkeitsbeeinträchtigungen leiden und daß diese nur dann den Tatbestand der Verletzung erfüllen, wenn sie pathologisch sind. Für den Verletzungsnachweis unterscheidet der erstbehandelnde Arzt häufig nicht genügend zwischen seinen Aufgaben als Therapeut und Gutachter. Schon ein ernsthafter Verletzungsverdacht kann es eventuell rechtfertigen, vorbeugend Behandlungsmaßnahmen einzuleiten, deren Kosten dann auch von den zuständigen Kostenträgern zu tragen sind. Wird er aber zur Begründung von Haftpflichtansprüchen als Gutachter tätig, muß die HWS-Verletzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, das heißt, es ist der sogenannte Vollbeweis erforderlich. Zwar kann diese Beweisanforderung dazu führen, daß trotz eingetretener Verletzung Ersatzansprüche nicht durchgesetzt werden können, weil die Verletzung trotz optimaler Diagnostik nicht objektivierbar ist. Für die Begutachtung ist aber der Regelfall aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Daten entscheidend.
HWS-Verletzungen werden besonders häufig nach Heckkollisionen geltend gemacht. Hierzu liegen inzwischen aktuelle experimentelle Ergebnisse vor, nach denen eine HWS-Verletzung für den Regelfall ausgeschlossen ist, wenn die medizinische Untersuchung keine objektivierbaren unfallbedingten Veränderungen ergibt, wenn der Insasse bei der Kollision in normaler Sitzposition (nicht extrem nach links oder rechts verdreht) gesessen hat und wenn die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des gestoßenen Fahrzeugs unter 11 km/h liegt. Unter kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderung versteht man dabei die Geschwindigkeitsänderung, die am angestoßenen Fahrzeug durch die Kollision auftritt. Sie unterscheidet sich damit von der Kollisionsgeschwindigkeit und ist im Rahmen gutachterlicher Fragestellungen mittels einer verkehrstechnischen Analyse zu errechnen. Aktuelle Ergebnisse, die besagen, daß bereits bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 4 km/h bei etwa 29 Prozent der Probanden Beschwerden auftreten, werden stark angezweifelt. Denn 4 km/h entspricht in etwa einer mittleren Beschleunigung von 1 g. Eine Belastung von 1 g auf der Halswirbelsäule erfährt man jedoch auch schon, wenn man in stehender Haltung den Oberkörper nach vorne beugt! Steht fest, daß der Geschädigte bei dem Unfall eine HWS-Verletzung erlitten hat, und geht es nur um die Frage, ob die Verletzung ausgeheilt ist oder ob sich eventuell sogar aus ihr Folgeschäden entwickelt haben, bestehen zugunsten des Geschädigten Beweiserleichterungen; insoweit reicht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit aus.
Der Schädiger haftet grundsätzlich für alle physischen und psychischen Auswirkungen der von ihm verursachten Verletzung. Selbst für Therapieschäden hat der Schädiger in der Regel einzustehen. Das gilt auch dann, wenn der Geschädigte psychisch besonders labil ist. Allerdings wird bei psychischen Folgeschäden in Extremfällen die Haftung verneint. In letzter Zeit wird zunehmend über die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung als mögliche Verletzungsfolge nach einem Verkehrsunfall diskutiert. Jedoch soll auch hier gelten, was für HWSVerletzungen gilt: Zunächst sollte eine wissenschaftliche Untersuchung feststellen, ob bei den letztlich nur kurzfristigen und objektiv geringen psychischen Belastungen der Betroffenen, die oft noch unter denen sonstiger alltäglicher Belastungen liegen, solche Belastungsstörungen überhaupt auftreten können.
Der Schädiger haftet auch für eine unfallbedingte Verschlimmerung vorhandener Vorschäden oder für solche Schäden, die sich nur deshalb einstellen, weil der Geschädigte eine konstitutionelle Schwäche hatte. Der Schädiger haftet also auch für eine unfallbedingte Verschlimmerung bestehender HWS-Beschwerden und deren Folgen. Zu beachten ist, daß im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zwar das Beweismaß teilweise herabgesenkt ist, daß dort aber für die Feststellung der Unfallbedingtheit eine andere (strengere) Kausalitätslehre als im Haftungsrecht gilt, nämlich die Lehre von der wesentlichen Bedingung. Unfallversicherungsrechtlich bestehen keine Ansprüche, wenn die Beeinträchtigung wesentlich auf einem schon vorhandenen Leiden beruht. Zivilrechtlich wird dagegen – von Ausnahmefällen abgesehen – für jeden unfallbedingten Personenschaden gehaftet, auch dann, wenn der Unfall „nur der letzte Tropfen ist, der das Faß zum Überlaufen bringt“, das heißt, wenn ihm im Verhältnis zu dem vorhandenen Anlage- oder Verschleißleiden nur die Bedeutung einer Gelegenheitsursache zukommt.
Castro W, Lemcke H, Schilgen M, Lemcke L: Das sogenannte „HWS-Schleudertrauma“ – Haftungsrechtliche und medizinische Überlegungen. Der Chirurg BDC: 1998;, 37: 176-184 [Heft 6] und 1998; 37: 254 [Heft 8].
Priv.-Doz. Dr. med. William Castro, Akademie für Manuelle Medizin an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster, Von-Esmarch-Straße 56, 48149 Münster.
Welche Symptome können bei einem HWS Schleudertrauma auftreten?
Einige Stunden bis Tage nach dem Unfall können als Folge von Muskelzerrungen und Gewebeschwellungen Schmerzen in der Nackenpartie auftreten und zu Bewegungseinschränkungen („steifer Hals“) führen. Nicht selten klagen Betroffene auch über Schmerzen und ein Schweregefühl im Kopfbereich. Gelegentlich wird auch über Schwindel, Schluckstörungen, Sehstörungen oder Schlafstörungen, Ohrgeräusche (Tinnitus) oder Taubheitsgefühle im Bereich des Gesichts, der Schultern oder der Arme berichtet.
Wie schwer ein HWS Schleudertrauma ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, z.B.:
- Art und Ausmaß der Gewalteinwirkung;
- muskuläre Anspannung zum Zeitpunkt des Unfalls;
- Zustand der Muskulatur (kräftige Muskel sind widerstandsfähiger);
- angeborene anatomische Unterschiede: stämmige Menschen mit kürzerem Hals sind weniger gefährdet als grazile Menschen mit langem Hals.
Wie wird ein HWS Schleudertrauma diagnostiziert ?
Nicht immer lässt sich ein Schleudertrauma äußerlich nachweisen. Deshalb erscheint dieses Krankheitsbild insbesondere bei Fremdverschulden hinsichtlich eventueller Schmerzensgeldklagen immer wieder stark umstritten. Daher ist eine möglichst exakte Diagnose erforderlich. Im Gespräch mit der Ärztin/dem Arzt werden die Ursache und die Beschwerden erhoben. Durch eine körperliche Untersuchung wird das genaue Ausmaß der Erkrankung ermittelt. Die Feststellung der Augenbeweglichkeit kann Hinweise auf eine Gehirnerschütterung liefern.
Gegebenenfalls werden Begleitverletzungen z.B. an der Wirbelsäule, den Knochen oder im Schädel-Hirn-Bereich festgestellt. Dies erfolgt meist mittels Röntgen. Bei Verdacht auf eine Verletzung des Nervensystems können neurologische Untersuchungen wie die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) oder der elektrischen Aktivität in der Muskulatur (EMG) erforderlich sein. In seltenen Fällen können die Darstellung des Gehirns mittels MRT oder CT, eine Ultraschalluntersuchung der großen Halsarterie oder eine Untersuchung des Liquors notwendig werden.
Die medizinische Klassifikation des HWS Schleudertrauma
Die Einteilung erfolgt international zunehmend in Anlehnung an die Quebec Tasc Force. Als HWS-Beschwerden werden Schmerzen in der Hals- oder Nackenmuskulatur oder im passiven Bewegungsapparat bezeichnet.
Unterschieden werden vier Schweregrade der Verletzung, wobei die Übergänge fließend sind:
- Schweregrad 0: keine HWS-Beschwerden, keine objektivierbaren Ausfälle.
- Schweregrad I: HWS-Beschwerden in Form von Schmerzen, Steifigkeitsgefühl oder Überempfindlichkeit, keine objektivierbaren Ausfälle.
- Schweregrad II: HWS-Beschwerden in Form von Schmerzen, Steifigkeitsgefühl oder Überempfindlichkeit und Beschwerden der Muskulatur und des Skeletts (Bewegungseinschränkung, Überempfindlichkeit gegenüber Berührungen).
- Schweregrad III: HWS-Beschwerden in Form von Schmerzen, Steifigkeitsgefühl oder Überempfindlichkeit und zusätzlichen neurologischen Beschwerden (abgeschwächte oder aufgehobene Muskeleigenreflexe, Lähmungen etc.).
- Schweregrad IV: HWS-Beschwerden in Form von Schmerzen, Steifigkeitsgefühl oder Überempfindlichkeit und Bruch oder Fehlstellung der HWS.
Die unfallanalytische Untersuchung bestimmt zunächst aufgrund von Brems- und Kontaktspuren, Beschädigungsbildern der Fahrzeuge sowie anhand von Reparaturrechnungen, wieviel Energie in Deformationsarbeit umgewandelt wurde, wobei auch das Gewicht der jeweils beteiligten Fahrzeuge zu berücksichtigen ist. Mittels physikalischer Gesetze lassen sich damit die erforderlichen Daten (bei Auffahrunfällen vor allem die Kollisionsgeschwindigkeit sowie die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung [Δv]) rekonstruieren. Zur Überprüfung der so berechneten Werte liegen inzwischen einige hundert Bilder von Crashversuchen vor, in denen die relevanten Daten mittels Präzisionsmesstechnik erfasst und dokumentiert wurden. Die berechneten und validierten Daten werden als Spanne (Minimal- und Maximalwert) angegeben, um einen realistischen Toleranzbereich zu schaffen. Darüber hinaus kann die mittlere Beschleunigung errechnet werden, die auf das Fahrzeug eingewirkt hat. Der Unfallanalytiker beschreibt also Belastungen und Bewegungen von Fahrzeugen, teilweise auch Bewegungen von Personen in den Fahrzeugen (Walz/Muser, Bemessung der Verletzungsschwelle der HWS bei Heckkollisionen, Zürich 1999, S. 2). Die biomechanische Begutachtung bestimmt die Belastung, der der Betroffene ausgesetzt war (Senat, Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [Juris];Walz/Muser a.a.O.; Becke/Castro/Hein/Schimmelpfennig NZV 2000, 225 [226, 235]). Sie berücksichtigt über die Unfalldaten hinaus die konstitutionellen und medizinischen Besonderheiten der betroffenen Person im Einzelfall. Hilfsmittel zur fallbezogenen biomechanischen Beurteilung sind u.a. Resultate aus Freiwilligenversuchen, biomechanische Belastungsstudien, epidemiologische Unfallstatistiken und allgemeine biomechanische Grundsätze (Walz/Muser a.a.O.; Schnider et al., Beschwerdebild nach kraniozervikalem Beschleunigungstrauma [«whiplash-associated disorder»], in: Schweizerische Ärztezeitung 81 [2000] 2218 [2220 sub 9]). Aus der Entscheidung des BGH, dass der medizinische Sachverständige sich alleine auf die Feststellungen der erstbehandelnden Ärzte stützen kann (BGH VersR 2003, 474 = NJW 2003, 1116 = DAR 2003, 217), folgt nicht, dass biomechanische Gutachten verzichtbar sind. Die biomechanische Beurteilung baut die Brücke zwischen den vom Unfallanalytiker berechneten Fahrzeugwerten und der medizinischen Begutachtung, die die ärztlich dokumentierten subjektiven Beschwerden und objektiven Befunde (klinische und bildgebende Untersuchungen usw.) zum Gegenstand hat (Senat, Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [Juris]; Walz/Muser a.a.O.). Der medizinischen Begutachtung kommt rechtlich die sachverständige Letztentscheidung zu (BGH VersR 2003, 474 = NJW 2003, 1116 = DAR 2003, 217, wonach eine ordnungsgemäß medizinisch festgestellte HWS-Beeinträchtigung nicht durch ein biomechanisches Gutachten widerlegt werden kann; ausdrücklich nun BGH VersR 2008, 1126 und 1133; KG VersR 2006, 1233 f.; ferner NZV 1993, 346 unter II 3 zur Notwendigkeit eines orthopädischen Sachverständigengutachtens bei widersprüchlichen Privatgutachten; vgl. aus medizinischer Sicht Schnider et al., a.a.O.).
OLG München (Urteil vom 15.07.2016 - 10 U 4590/15)

